Rolf Hochhuth: Johann Georg Elser

Unauffällig liquidieren, beim nächsten Luftangriff:
Gestapo-Brief vor Kriegsende nach Dachau.
Im Krematorium des KZs wird Elser
– geboren 1903 in Hermaringen –
vermutlich stranguliert, vielleicht erschossen:
die Zeugen, jetzt pensionsberechtigt, schweigen,
da sie die Mörder sind …

Elf Monate vor Hitlers Weltkrieg
geht Elser, Sprengstoff zu entwenden,
als Hilfsarbeiter in den Steinbruch:
ein Deutscher ist so konsequent wie Hitler.
Gefoltert ein Jahr später, verhör-zermürbt
– er glaubt, Gott habe seine Tat verworfen –
nennt Elser ungebeugt nur ein Motiv:

Friede oder – Hitler! Der Tell totalitärer Zeiten,
Einsamster in seinem Volk, das ihn fast kollektiv
denunzierte, weil es den Führer liebt wie Bier
und Beischlaf – sogar noch, ja dann erst recht,
seit Hitler fünfzigmal mehr Menschen, als vor
dem Krieg in München wohnten, in Gräber wirft,
auf Aschehalden, dreihunderttausend vor die Fische

Vier Wochen früher als die Wehrmacht losbricht,
bricht Elser aus der Säule, die den Saal stützt
(hier hetzt der Führer jedes Jahr die Mitbanditen auf)
die ersten Steine für die Pulverkammer.
Kniet fünfunddreißig Nächte vor der Säule
– ein Bluterguss im Knie wird ihn verraten.
Die Taschenlampe abgeschirmt; Schutt, Steine

Trägt er in einem Köfferchen zur Isar.
Drei Tage vor der Explosion
Uhrwerke, Zünder abzustimmen:
die Polizei glaubt nicht, dass er das konnte,
bevor er die Maschine nachbaut in der Haft.
Sooft er – vierzigmal – zum Tatort schleicht,
betritt er Kirchen, das beruhigt ihn …

Der Schwabe war nach sieben Dorfschuljahren
der prüfungsbeste Tischler-Lehrling.
Musiziert in Vereinen, spielt vier Instrumente,
beliebt bei Frauen, eheloser Vater. Bevor er
aufbricht, muss er die Baßgeige verkaufen:
braucht vierhundert Mark. Gewöhnt den Hund
des Nachtwächters im „Bürgerbräu“ an sich:

Bringt täglich Fleisch zum Zwinger
von seinem Mittagsteller dort im Gasthaus.
Hat, als er in die Schweiz will, noch zehn Mark.
Die Schwester schenkt ihm dreißig.
Damit reist er zurück nach München,
um seine Uhren nachzuprüfen … In Konstanz,
schon in Haft, hört er im Radio Adolf Hitler

Den Saal zu früh verlassen – elf Minuten!
Sieben Nazis tot, auch eine Kellnerin. Sechzig
verwundet. Noch sechs Jahrzehnte nachher nennt
kein Lexikon den Namen Elser! Nur München endlich
wie sein Heimatdorf haben Elser-Straßen:
Dies Volk liebt zwar die Freiheit
– doch nicht die, die sich für sie geopfert.

 

Erstdruck in Rolf Hochhuth:
Die Berliner Antigone. Prosa und Verse.
Reinbek bei Hamburg 1971.
Hier mit freundlicher Genehmigung des Autors
zitiert nach: Rolf Hochhuth:
Anekdoten und Balladen.
Herausgegeben von Gert Ueding,
Stuttgart 2001, S. 13 ff.